Die Cellistin Tanja Tetzlaff gehört seit Jahrzehnten sowohl als Solistin als auch als Kammermusikerin zu den prägenden Musikerinnen ihrer Generation. Ihr Spiel zeichnet sich durch einen einzigartig feinen, zugleich kraftvollen und nuancierten Klang aus, der stets mit kultivierter Musikalität einhergeht. Über die klassische Musikpräsentation hinauszugehen, andere Kunstformen einzubeziehen und sich mit dem Zeitgeschehen auseinanderzusetzen, ist ihr ein besonderes Anliegen. Für ihr musikalisches Schaffen und ihren besonderen Einsatz für den Klimaschutz wurde sie 2024 mit dem Duisburger Musikpreis ausgezeichnet. Bereits zuvor wurde sie von den „Orchester des Wandels“ zur Botschafterin auf Lebenszeit ernannt.
Ein zentrales Projekt dieses Engagements ist der Film Suiten für eine verwundete Welt (Suites for a Suffering World), den sie 2021 mit Unterstützung des Glenn Gould Bach Fellowship der Stadt Weimar realisieren konnte. Der Film stellt Bachs berühmte Cellosuiten in Beziehung zur Natur und zum Klimawandel und wurde 2023 unter anderem beim Wiener Rathausfilmfestival, dem Beethovenfest Bonn und dem Kronberg Festival sowie in zahlreichen Kinos gezeigt. Er wurde außerdem auf 3sat, auf NHK Japan, sowie weiteren internationalen Fernsehsendern ausgestrahlt. Im Oktober 2023 wurde sie für den Film mit dem Innovationspreis für Nachhaltigkeit im Rahmen der Opus Klassik Awards ausgezeichnet. Weitere Informationen auf der zugehörigen Website www.suites4nature.org.
Ein Markenzeichen von Tanja Tetzlaff ist ihr außergewöhnlich breites Repertoire. Neben den großen Konzerten des Cello-Standardrepertoires liegt ihr die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts besonders am Herzen. Im September 2022 brachte sie das Doppelkonzert für Cello und Percussion von Olga Neuwirth mit dem Trondheim Symphony Orchestra und dem Perkussionisten Hans Kristian Kjos Sørensen zur Uraufführung. 2022 folgte die Uraufführung des Doppelkonzerts von Tõnu Kõrvits in Tallinn gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Geiger Florian Donderer.
Die Kammermusik ist eine zentrale Konstante in ihrem künstlerischen Schaffen. Sie ist Gründungsmitglied des Tetzlaff Quartetts, mit dem sie seit 1994 regelmäßig weltweit auftritt. Mit Florian Donderer konzertiert sie sowohl im Duo als auch in Trio-Formationen weltweit. Darüber hinaus ist als Mitglied des vielfach preisgekrönten Klaviertrios mit Kiveli Dörken (als Nachfolgerin des verstorbenen Gründungsmitglieds Lars Vogt) und ihrem Bruder Christian Tetzlaff aktiv, mit dem sie zahlreiche preisgekrönte Einspielungen vorgelegt, darunter eine mit dem ICMA ausgezeichnete Aufnahme mit Werken von Brahms. Weitere Einspielungen von Tanja Tetzlaff erscheinen bei Cavi, Ars, NEOS und Ondine, darunter Konzerte von Wolfgang Rihm und Ernst Toch. Ihre Solo-CD mit Bach-Suiten und Werken von Thorsten Encke wurde im Oktober 2019 veröffentlicht.
„Sie begeisterte mit großem Ton und enormer Ausdrucksdimension – fantastisch!“ – rbb Kulturrbb Kultur
In der Saison 2025/26 spiegeln sich Tanja Tetzlaffs vielseitige künstlerische Interessen in einer Reihe facettenreicher Projekte wider: Den Auftakt bildet ein Rezital beim Beethovenfest Bonn, gefolgt von Konzerten mit dem Tetzlaff Trio in Illertissen und Toronto. Im Pierre Boulez Saal Berlin stellt sie ein spannungsreiches Duo-Programm vor, das Schostakowitschs Cellosonate mit Werken zweier Komponistinnen sowie einer für sie komponierten Komposition von Thorsten Encke für Cello und Tape kombiniert. Mit dem Tetzlaff Quartett ist sie unter anderem in Hannover, Birmingham, Freiburg und im Konzerthaus Blaibach zu erleben. Solistische Auftritte führen sie zum Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck, später zum NHK Symphony Orchestra in Tokyo unter Michael Sanderling. Darüber hinaus gibt sie Meisterkurse in Italien und widmet sich neuen Aufnahmen mit dem Tetzlaff Trio.
Zu den Festivalstationen zählen in diesem Jahr unter anderem das Fairplay Festival, das Festival Spannungen in Heimbach, zu dessen festem Kern sie gehört, sowie Konzerte in Rottweil, Landshut und beim Molyvos International Music Festival. Im Verlauf ihrer internationalen Karriere gastierte Tanja Tetzlaff bei zahlreichen Spitzenorchestern in Europa, Asien und Nordamerika und arbeitete mit namhaften Dirigent:innen wie Alan Gilbert, Daniel Harding, Philippe Herreweghe, Karina Canellakis, Heinz Holliger, Paavo Järvi, Sir Roger Norrington und Robin Ticciati zusammen.
Seit dem 1. April 2024 ist Tanja Tetzlaff Professorin für Violoncello an der Hochschule für Künste Bremen. Sie studierte an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg bei Professor Bernhard Gmelin und am Mozarteum Salzburg bei Professor Heinrich Schiff. Sie spielt ein Cello von Giovanni Battista Guadagnini aus dem Jahr 1776.
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Tanja Tetzlaff persönlich

…der größte Genuss beim Musizieren?
„Das ist für mich das Eintauchen in Gefühle, Geschichten, Abenteuer, die zwar im Kopf eines anderen Menschen entstanden sind, der in einem komplett anderen Leben, oftmals in einer anderen Zeit und Welt, zuhause war — und dann zu erleben, wie ich durch die Musik meine eigenen Erlebnisse und Gefühle verschmelzen lassen kann mit denen des Komponisten oder der “Menschheit” allgemein.
Meine Hoffnung und eben auch manchmal größte Erfüllung ist, dass ich es schaffe, durch mein Spiel auch den Zuhörern ein ähnliches Erlebnis zu ermöglichen, dass jemand im Publikum für einen Moment Empathie mit der Menschheit und „Aufgewühlt – Werden“ zulässt, die Musik an sich heranlässt.“
…mein musikalischer Lebensweg…?
„Direkt nach meinem Studium habe ich eine halbe Stelle als Solocellistin bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen angeboten bekommen – gleichzeitig hatte ich aber auch schon ein paar schöne Preise bei Wettbewerben gewonnen und angefangen solistisch und mit Kammermusik zu konzertieren.
In der klassischen Musikszene gibt es immer noch ein weit verbreitetes Schubladendenken – es ist für manche Veranstalter schwer vorstellbar, dass jemand, der mit Begeisterung Orchester spielt, auch ein „vollwertiger Solist“ sein kann.
Da es mir allerdings irgendwann tatsächlich unmöglich wurde , alle Sparten gleichermaßen energetisch weiter zu verfolgen , habe ich vor zwei Jahren meine verbliebene kleine Viertelstelle bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen gekündigt , um mich seitdem mit ganzer Kraft und Zeit meinen eigenen solistischen und kammermusikalischen Projekten zu widmen.
Ich schätze besonders die Vielseitigkeit meines beruflichen Weges, die Möglichkeiten als Solistin und Kammermusikerin (und das mit meinen absoluten Traummusikern und Freunden und auch immer wieder in neu zu entdeckenden Zusammenhängen), tolle Konzertsäle, tolle Städte und Länder mit anderen Menschen zu bereisen.
Durch meinen Beruf kann ich meine Seefahrer-Gene voll ausleben – unter meinen Vorfahren waren einige Kapitäne und als ich erwachsen wurde, konnte ich es kaum ertragen, wenn ich mal länger als fünf Tage an einem Ort verbringen musste.
…besondere musikalische Erinnerungen, an die ich gerne denke:
- angefangen in meiner Kindheit am Sonntagmorgen, Bach Kantaten im Radio beim Familienfrühstück…
- die erste Kassette, die mein Bruder mir aufgenommen hat mit Brahms vierter Sinfonie und Schuberts „Unvollendete“, die die Hintergrundmusik für mein Playmobil-Spiel war
- viele eigene gespielte Konzerte, oftmals grade diejenigen, die kurz nach schmerzlichen persönlichen und weltgeschichtlichen Geschehnissen stattfanden:
Beispiel: ein Kammermusikabend in der Toppan Hall in Tokyo, wo Julien Prégardien einen erschütternd aufwühlenden „Schwanengesang“ – Zyklus von Schubert sang und wir anschließend Schuberts Streichquintett spielten – die Verbindung von Sprache und Musik so extrem fühlbar.
…über die Beziehung zu Ihrem Instrument?
„Mein Guadagnini Cello begleitet mich ja jetzt schon sehr lang auf allen Reisen und in allen Konzerten, das ist natürlich kein Stück Holz mehr oder ein Handwerkszeug, sondern ich liebe es und fühle mich auf sehr spezielle Art zuhause damit.
Im Spaß nenne ich es Giovanni!
Mein stiller Begleiter im Nebensitz im Flugzeug – und auf der Bühne, wenn alles gut ist, ist es ein Teil von mir oder eine Verlängerung meiner Seele.“
Ein paar Gedanken zu unserer Verantwortung als KünstlerInnen in der heutigen Zeit :
„Der Elfenbeinturm , in dem wir uns als ausübende Musiker der Klassikszene zumeist befinden , bereitet mir schon lange ein ungutes Gefühl. Mehr und mehr drängt es mich , den Problemen der Welt und der Menschheit nicht mehr zu entfliehen , sondern sich ihnen zu stellen , darauf aufmerksam zu machen , dass eben nicht alles wunderbar in Ordnung ist , sondern dass die Menschheit sich an einem Abgrund befindet , den wir nicht länger verdrängen dürfen und auch nicht können , da er uns alle unmittelbar betrifft – die Welt verändert sich und der Glaube , dass Umweltzerstörung und Klimawandel etwas ist , was vielleicht merkbar ist , aber eben „nur weit weg“ Konsequenzen hat , muss jetzt ein Ende haben .
So sehr ich meinen Beruf liebe und auch die damit verbundene Versenkung in eine Traum- und Scheinwelt , so sehr wird mir immer bewusster , dass ich später, wenn ich am Ende meines Lebens stehe , nicht zurückschauen möchte und meinen Kindern und nachkommenden Generationen erklären müssen , dass ich leider zur Rettung der realen Welt nichts beigetragen habe , sondern nur mit meiner „ hohen Kunst“ beschäftigt war. Und gerade die klassische Musik mit ihrer Verbundenheit und Verwurzelung in der Natur und im zutiefst Menschlichem , mit all ihrer Verletzlichkeit und Intimität hat eben das Potenzial , anzurühren , aufzurütteln und zu mahnen — uns alle zu mehr Achtsamkeit und Behutsamkeit im Umgang mit der Umwelt und den Menschen aufzurufen .
Als reisende Musikerin möchte ich deswegen einerseits ein Vorbild sein dafür , verantwortungsvoll umzugehen mit dem Dilemma, dass jede Art der Mobilität natürlich schädlich ist , wir sie aber kaum einschränken können , wenn wir unseren Beruf weiterhin ausüben wollen : Es gilt aber , jeweils bewusst die am wenigsten zerstörerische Weise zu reisen auszuwählen – und mein Bestreben ist , jede Tournee weitestgehend zu neutralisieren , wobei ich mit verschiedenen Umweltschutzorganisationen daran arbeite , meinen CO2 Fußabdruck zu minimieren . Andererseits sehe ich meine Aufgabe darin , das Publikum mit einzubeziehen, aufzurütteln und aufzufordern , die Schönheit der Musik und der Natur gleichermaßen wahrzunehmen und beides als etwas Schützenswertes , Wunderbares , Zerbrechliches zu bewahren und zu behüten.“
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